Überwachungstechnik: Polizei observiert mit Gesichtserkennung

Laut eigener Aussage nutzt die sächsische Polizei ein Gesichtserkennungssystem mit Echtzeit-Funktion. Einsätze erfolgen auch in Berlin. Dort macht der Senat erstmals technische Details bekannt.

Das offen arbeitende PerIS aus der Oberlausitz. Ein ähnliches System nutzt die Polizei zur heimlichen Überwachung. – Alle Rechte vorbehalten IMAGO / Jürgen Ritter

Bei der Videoüberwachung gehörte die Polizei in Sachsen schon immer zu den Pionieren. Leipzig war die erste deutsche Stadt, in der seit dem Jahr 1996 ein öffentlicher Platz am Bahnhof rund um die Uhr mit Kameras beobachtet wird. Ein Jahrzehnt später war das Bundesland Vorläufer bei der Überwachung mit fliegenden Kameras. Weitere zehn Jahre später beschaffte die Polizei in Görlitz und Zwickau in der Oberlausitz stationäre und mobile Systeme zur Videoüberwachung, die Kennzeichen und Gesichter aufnehmen und abgleichen können – letzteres allerdings retrograd, also im händischen Verfahren.

Vor wenigen Wochen wurde bekannt, dass die sächsische Polizei auch ein heimliches Observationssystem mit hochauflösenden Kameras und Gesichtserkennung einsetzt. Diese können entweder in parkenden Fahrzeugen verbaut oder stationär montiert werden. So kann die Polizei ermitteln, ob sich eine verdächtige Person an einem bestimmten Ort aufgehalten hat.

Hinweise auf „Personen-Identifikations-System“ (PerIS)

Details zur Funktionsweise unterliegen in Sachsen gemäß einer Polizeidienstvorschrift der Geheimhaltung, sagte ein Polizeisprecher auf Anfrage des „nd“. Ob es sich bei dieser „Observationstechnik für verdeckte Maßnahmen“ um Elemente des „Personen-Identifikations-Systems“ (PerIS) aus der Oberlausitz handelt, ist unklar. Jedoch gibt es Hinweise darauf: Der erste bekanntgewordene Einsatz der verdeckten Observationstechnik aus Sachsen erfolgte in Berlin im Bereich der „grenzüberschreitenden Bandenkriminalität“. Diese Ermittlungen führt die Polizeidirektion Görlitz, die das PerIS als erste sächsische Behörde 2020 angeschafft hat.

Für die Ermittlungen in Berlin hat das Landeskriminalamt aus Görlitz ein Amtshilfeersuchen an die Staatsanwaltschaft in der Hauptstadt gestellt. Das bestätigt die Berliner Senatsverwaltung für Inneres in der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Linken-Abgeordneten Niklas Schrader, der auch innenpolitischer Sprecher der Fraktion ist. Darin finden sich auch technische Details zu der Anlage. Das mobile Überwachungssystem nimmt demnach Kennzeichen von durchfahrenden Kraftfahrzeugen sowie Gesichtsbilder der Fahrer:innen und Beifahrer:innen auf.

Abgleich mit Lichtbildern

Die Aufnahmen werden mit bereits im System vorhandenen Lichtbildern abgeglichen. Diese Datenbank speist sich aus Bildern, die von Polizisten „händisch ausgewählt und manuell in das System eingepflegt“ werden. Ein automatischer Abgleich mit anderen polizeilichen oder europäischen Informationssystemen erfolgt angeblich nicht.

Das System kann Gesichtsbilder „mit der zeitlichen Verzögerung von wenigen Sekunden“ verarbeiten, wie die Berliner Staatsanwaltschaft bereits dem „nd“ mitgeteilt hatte. Alle im Umkreis erfassten Personen würden mit Bildern von Tatverdächtigen aus einem konkreten Ermittlungsverfahren abgeglichen, erklärte der Sprecher. Entdeckt die Software eine verdächtige Person, wird der Fund durch einen Polizeibeamten überprüft.

„Bei den wesentlichen technischen Komponenten beziehungsweise Details handelt es sich um ein System hochauflösender Kameras, die qualitativ sehr gute Bilder auch bei Dunkelheit und unter schlechten Witterungsbedingungen erstellen können“, erläutert nun der Berliner Innensenat. Einsätze der Technik erfolgten „zur Identifizierung von Tatverdächtigen und zur Aufhellung von Fluchtrouten und bei der Tat genutzten Wegen bekannter Tatverdächtiger“.

Um welche konkreten Verfahren es sich handelt, beantwortet der Senat nicht. In einem Fall werde wegen einer „internationalen Kraftfahrzeugverschiebung“ ermittelt, in dem anderen wegen eines schweren Raubes an einer Tankstelle. Diese Tat werde einer Gruppierung zur Last gelegt, die „regelmäßig bandenmäßig schwere Tresordiebstähle“ an Tankstellen begehen soll. Einer der Vorfälle sei „zu einem schweren Raub eskaliert“.

Staatsanwaltschaft Berlin sieht „keine flächendeckende Überwachung“

Als rechtliche Grundlage für den Einsatz der biometrischen Überwachung nennt die Berliner Staatsanwaltschaft den Paragraf 98a der Strafprozessordnung. Er erlaubt eine Rasterfahndung bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung, wenn andere Methoden „erheblich weniger erfolgversprechend oder wesentlich erschwert“ wären. Nach diesem Gesetz dürfen alle von der Technik erfassten Personen „mit anderen Daten maschinell abgeglichen werden“.

Wie oft die Polizei Sachsen die „Observationstechnik für verdeckte Maßnahmen“ bereits eingesetzt hat und ob diese Einsätze erfolgreich waren, ist dort angeblich mangels Statistiken nicht bekannt. In Berlin habe es „bislang eine bestätigte Personenidentifizierung“ gegeben, heißt es in der Antwort.

Bei den Observationen mit Videokameras geraten sämtliche Personen im Umkreis ins polizeiliche Raster. Die Staatsanwaltschaft Berlin sieht darin „keine flächendeckende Überwachung“. Tobias Singelnstein, Professor für Strafrecht an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main, widerspricht: „Eine solche Maßnahme greift in erheblichem Maße in die Rechte von völlig Unbeteiligten ein, weil je nach Umständen eine Vielzahl von Personen erfasst wird“. Die Strafprozessordnung erlaube eine solche Maßnahme nicht.

Auch der Fragesteller Niklas Schrader steht der heimlichen Technik äußerst kritisch gegenüber: „Der Einsatz von biometrischer Gesichtserkennung von Polizeifahrzeugen aus ist ein schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte auch von Unbetroffenen. Indem sich Berlin entsprechende Technik aus Sachsen ausleiht, werden Schritt für Schritt die Voraussetzungen geschaffen, diese flächendeckend durchzusetzen“, warnt der innenpolitische Sprecher der Berliner Linken und fordert vom Senat „ein deutliches Bekenntnis, vom Einsatz biometrischer Überwachung und auch der Ausweitung von polizeilicher Videoüberwachung im öffentlichen Raum Abstand zu nehmen“.


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