Eine Botschaft aus dem Wald

Foto: Jumana Mattukat

Eines Tages geschah es, dass die Tiere des Waldes in Unruhe gerieten.
„Hast Du es schon gehört?“, fragte der Hase das Reh. Das Reh nickte stumm. Der Hase sprang hin und her und um seine große Freundin herum: „Ich habe es von der jungen Birke erfahren. Sie hatte es von der alten Eiche über die unterirdische Pilzleitung gehört.“
„Ja, es ist wohl kein Gerücht. Auch die gut vernetzte Buche hat es bestätigt“, antwortete das Reh.
“Aber da müssen wir doch etwas tun.“ Der Hase sprang immer wilder im Dreieck..
„Beruhige Dich, kleiner Hase. Unser Ältestenrat hat bereits zu einer Versammlung gerufen. Für heute Abend auf der großen Lichtung. 20 Uhr. Die Vögel sind in alle Richtungen ausgeflogen, um jeden zu informieren.“

Und so wurde die Kunde über die tierischen und pflanzlichen Kanäle verbreitet, so dass alle gerufen waren: vom kleinsten Käfer bis hin zum größten Säugetier.
Am Abend strömten sie zusammen, sogar der weitläufige Wolf erreichte erschöpft, aber pünktlich die Versammlung. Wie immer bei den interanimalen Treffen, legten die Tiere ihre Alltagsgewohnheiten ab, so dass kein Tier Sorge haben musste, von einem anderen gejagt oder gefressen zu werden. Ein Waldtier-Ehrenwort, an das sich die Tiere von jeher mit großer Selbstverständlichkeit hielten.

Auf der Lichtung war – von Gräsern bedeckt und nur für Eingeweihte sichtbar – ein Steinkreis, in dessen Mitte sich die Verbindungszentrale zu allen Bäumen des Waldes befand. Der Treffpunkt, wenn es um Themen ging, die Flora und Fauna gleichermaßen betrafen.
Alle sprachen wild durcheinander. Angst, Wut und Trauer kochten in ihrer Mitte und erhitzten die Gemüter:
„Es sollen große Maschinen kommen, sie wollen Hunderte von Bäumen fällen, sie wollen alles Grüne wegmachen. Dann wollen sie mit sogenanntem Beton die ganze Erde dicht machen. Und auf diesem Beton wollen sie dann große Säulen aufstellen.“
„Aber, warum wollen sie das denn tun?“
„Es heißt, sie wollen den Wind einfangen, um damit Strom zu erzeugen und um das Klima zu schützen.“
Aus der Mitte des Steinkreises kam ein großes Raunen, das die Bäume des Waldes erzeugten.
„Aber aber, ….“ Ein Moment der Sprachlosigkeit einte die Bäume.
„Wir dachten, die Menschen hätten verstanden, dass wir das aus der Luft herausholen, was sie nicht gebrauchen können und dass wir es sind, die ihre Luft wieder frisch machen. Sie haben uns doch sogar ihre Klimaschützer genannt.“
Die Ungläubigkeit wich einer tiefen Betroffenheit und ließ den gesamten Wald und alle Tiere in Stille erstarren.
Der Hirsch brachte es auf den Punkt: „Wenn die Menschen sich einmal etwas in den Kopf gesetzt haben, dann …“
Er ließ den Rest des Satzes offen und damit viel Spielraum für die dunkelsten Bilder.
Die Fichte sprach es schließlich aus: „Viele, sehr viele von uns werden sterben und Ihr Tiere werdet es auch – es sei denn Ihr verlasst Eure Heimat und sucht Euch ein neues Zuhause.“
„Nein, wir lassen Euch nicht im Stich“, entfuhr es dem Fuchs spontan. Und alle Tiere stimmten ihm zu. Außerdem wissen wir doch, dass unser gutes Miteinander nur funktioniert, wenn wir nicht zu viele auf einem Haufen sind. Die Menschen nennen das „ökologisches Gleichgewicht“
„Ach hör mir auf mit den Menschen. Die haben uns das doch alles eingebrockt.“, ließ das Eichhörnchen vernehmen.

„Borkenkäfer, was sagst Du denn dazu?“
Der Borkenkäfer hatte die ganze Zeit über geschwiegen. „Ich bin noch immer so verwundert, dass die Menschen sich ausgerechnet eine Stelle für ihre Windräder ausgesucht haben, an der meine Artgenossen und ich kaum, bis gar nicht aktiv sind.“
Was die wenigsten Menschen wissen, ist, dass an der selben Stelle vor vielen Jahren bei einer ähnlich großen Versammlung auf der Lichtung die Fichten und wir Käfer eine Übereinkunft getroffen hatten. Die Fichten ließen uns bei sich einziehen und wichen freiwillig, um Platz für andere Bäume zu machen, für eine Vielfalt an unterschiedlichsten Bäumen und damit für den Fortbestand des Waldes!
Allen Tieren, Bäume und Pflanzen ist bewusst, dass sie alle miteinander verbunden sind und in uns ein gemeinsamer Geist weht – der eine Geist des Waldes, der immer auf die bestmögliche Lösung für alle aus ist.

Die Krähe stimmte mit ein: „Na, dass wir die Menschen mit ihren Entscheidungen nicht verstehen können, das wissen wir doch schon lange. Kein anderes Säugetier macht sich seinen eigenen Lebensraum selbst kaputt.“ Verachtung lag in ihrer Stimme. Sie war weit gereist und auch in den Städten der Menschen unterwegs.

An dieser Stelle erhob sich die weise Eule aus dem Rat der Ältesten und nahm ihren Platz auf der Baumkrone ein. Mit ihrer reinen Präsenz sorgte sie für einen Moment des Atemstockens. Alle Tiere blickten gebannt zu ihr auf.
„Nun, uns Tieren steht es nicht zu, über die Menschen zu urteilen.“ Dabei blickte sie der Krähe mit ihrem gleichermaßen liebevollen und doch bestimmten Rundumblick tief in die Augen, bis diese zustimmend nickte. „Wir bleiben in der Liebe zu allem, was ist.
Nur die heilige Ordnung weiß um die größeren Zusammenhänge. Und doch sind wir mit dieser nie da gewesenen anstehenden Bedrohung nun aufgerufen, zu handeln. Wir vom Rat der Ältesten kommen gemeinsam mit dem Rat der ältesten Bäume zu dem Schluss, dass wir nur eine Chance haben. Selbst das stärkste Tier, selbst die klügste Pflanze, selbst der beständigste Baum hat angesichts dieser Bedrohung keine Erfolgsaussicht.
Es wird Euch zunächst paradox erscheinen, aber es ist so. Unser einziger Ausweg ist: der Mensch.
„Ach Du heilige Scheiße.“ entfuhr es dem Hasen. Ihm fiel die Kinnlade runter und er blieb mit offenem Mund dasitzen.

„Ja, wir brauchen die Menschen.“, wiederholte die Eule. Sie ließ diese Information in der Waldgemeinschaft erst einmal wirken. Währenddessen nahm sie mit ihren feinen inneren Antennen die unterschiedlichsten Ideen und Bilder wahr, die diese Aussage in den anderen bewirkte: Bäume, die Spaziergänger mit ihren Ästen sanft streichelten, um sie zu erinnern, wie sehr sie Bäume liebten. Tiere, die besonders niedlich umhertollten, um sich ins Herz der Menschen zu schleichen, damit diese erkannten, dass es sie sonst nicht mehr gäbe und Sträucher, die ihre Früchte ganz besonders prächtig präsentierten, um den Menschen ihren Nutzen zu zeigen.
Die Eule musste vor Rührung schlucken, so sehr fühlte sie das starke Bemühen in ihren Schwestern und Brüdern. Sie sagte: „Ich fühle Eure gute Absicht und ich lade Euch ein, all diese Ideen in die Tat umzusetzen. Es wird gewiss noch mehr Menschen daran erinnern, wie sehr sie den Wald lieben.“ Sie machte eine Pause und fuhr dann fort:
„Die Menschen, die ich meinte, als ich sagte „Wir brauchen die Menschen“ ist eine Gruppe von Frauen und Männern, die sich bereits zusammen getan hat und die wir nicht überzeugen müssen. Sie sind bereits aktiv und haben viele Informationen zusammengetragen, Plakate und Banner gebastelt und aufgehängt. Sie nennen sich Bürgerinitiative.“
„Bür-ger-initia-tive“, einige Tiere versuchten den sperrigen Begriff zu wiederholen. „Sie sind in unserer Angelegenheit unterwegs und treffen sich in ihrem Versammlungshaus unten im Tal am Sonntag. Dort wollen sie viele Menschen dazu bringen, eine Stellungnahme abzugeben.“
„Aha, und was können wir tun?“
„Nun, neben allem, was Ihr mit den Spaziergängern vorhabt, können wir den Menschen in ihren Träume begegnen und sie auch da an ihre Waldliebe erinnern, an die schöne Aussicht, die sie einmal genossen haben, an die Sanftheit des Mooses, auf dem sie gesessen haben und an die frische Luft, die sie geatmet haben. Dazu brauchen wir unsere vereinten Kräfte!“
„Au ja, das machen wir“. Freude und Zuversicht und Tatendrang kehrten durch die mutmachende Rede der Eule wieder ein.
„Und, liebe hohle Eiche, für Dich habe ich einen Spezialauftrag! Zu Dir kommt doch diese Frau, die mit ihrem Mann im Wald lebt?!“
„Ja, sie kommt jeden Tag und bittet mich um eine Botschaft. Wir mögen uns.“
„Wunderbar, dann wird dies ein leichtes. Bitte sage ihr beim nächsten Mal, dass sie diese Geschichte aufschreiben und bei der Versammlung vorlesen soll, so dass die Initiative und viele Menschen darüber hinaus von unseren Nöten und Ängsten erfahren.“
Die Eiche strahlte und entgegnete: „Das mache ich von Herzen gerne.“

Und so kam es, dass sie der Frau mitteilte, wie wichtig es sei, sich daran zu erinnern, was die eigentliche Aufgabe der Menschen ist.
Und die Frau erinnerte sich, verkündete es aus der Tiefe ihres Herzens und erinnerte damit auch alle anderen:
„Die Aufgabe des Menschen ist es, den Wald, die Tiere, das Heilige zu schützen!

www.steigerhaus.jetzt

Hintergrund von Doris Lulay/Permakulturnetzwerk: Eine liebe Freundin, die im Thüringer Wald lebt, ist Teil einer Bürgerbewegung, die einen riesigen Windkraftpark verhindern will, der vollständig auf bewaldetem Gebiet gebaut werden soll, ergo, für den der Wald weichen muss. Sie wurde eingeladen eine Versammlung zu moderieren und hat sich tagelang den Kopf zerbrochen wie sie das machen kann ohne das typisch kämpferische „Dagegen“ hervorzurufen, ohne Spaltung, ohne Trennung. Sie wohnt mitten in diesem Wald und geht seit zwei Jahren jeden Morgen zum Meditieren an eine hohle Eiche. Dort ist ihr diese Geschichte eingefallen. Sie hat sie aufgeschrieben und als Eröffnung der Versammlung vorgelesen.

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